Die Leidenschaft von Frau Rita Baldo erscheint wie ein Mittsommernachtstraum, der sich wie ein unendlicher Sonnenaufgang über die Gletscher des Stilfser Jochs erstreckt. Jahrgang 1930, ihre Stimme und ihre Augen leuchten noch heute bei der Erinnerung an Schneefälle und Gletscher, ihre Gedanken schweifen zurück in das Jahr 1949: «am Abend sind wir mit dem Lastwagen losgefahren und als wir ankamen, dehnte sich vor uns eine unendliche Firndecke aus. Ein unglaublicher Anblick. Hoch am Himmel stand ein riesiger Mond. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Ich war überwältigt, verzaubert, wie bei einer Liebe auf den ersten Blick. Und seit dem Moment habe ich keine von den Wanderungen ins Hochgebirge und zu den Gletschern versäumt, die von dem Italienischen Bergsteigerverband, dem CAI von Bozen, organisiert wurden!» – erzählt Rita, die ursprünglich aus Trient stammt, doch im Alter von 5 Jahren mit ihrer Familie nach Bozen zog.
Liebe und Leidenschaft für einen Mann und die Berge. Ihre Worte fließen nur so daher, während sie ein Fotoalbum mit Schwarz-Weiß-Fotografien durchblättert, die sie mit ihren Freunden und ihrem Mann, Mario Casanova, (Jahrgang 1923) auf den Gipfeln des Trentino-Südtirol abbilden. «Wir kamen nachts oben an und am frühen Morgen fuhren wir mit den Skiern hinunter. Gletscher, Berge, der Monte Cevedale oder Zufallspitze – und die zweite Abfahrt ging dann die Veneziaspitze bergab...
«Alles begann mit einem vom Bergsteigerverband CAI organisierten Ausflug zum Stilfser Joch. Wir starteten am Abend, um dann zum Monte Spiriti (Geisterberg) und daraufhin zum Monte Cristallo (Kristallberg) hinauf zu steigen. Ich erinnere mich, dass ich die Knickerbocker und eine Windjacke meines Bruders aus der Militärzeit trug. Und dann erblickte ich den Mond, die glänzende Schneedecke und verliebte mich augenblicklich in diese Landschaft. Ein Zauber, der mich übermannte. Ich war begeistert, als ich zum ersten Mal die Skier anschnallte,….auch wenn ich mit Sicherheit einige Stürze vollbrachte!»
Rita lernte das Skifahren von Mario, ihrem Wanderbegleiter und späteren Ehemann. Der Mann, der sie mit den Skiern vertraut machte und bei dem sie sich immer sicher fühlte, erzählt sie mir, mit einem noch immer verliebten Blick. Mario brachte ihr die Abfahrt in Pflugstellung und später den Kristiana-Schwung bei, eine der Techniken, die von den ersten Tiroler-Skischulen um die Zwanziger und Dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts angewandt wurden. Am Ende der Vierziger Jahre war Keiner im Besitz eines Autos und so wurden die Fahrten zu den Berghütten, an denen Mario und Rita, zusammen mit ihren Freunden teilnahmen, auf Kastenwägen organisiert. Wenn man Glück hatte, konnte man sich mit der Plane gegen den Wind schützen. «Die Skier waren aus Holz - Rita erinnert sich, dass ihre Skier 2 Meter 15 Zentimeter lang waren. Meine ersten Skier hatten noch nicht einmal Laminate und man brauchte viel Kraft um sich fortzubewegen. Man musste sie so lange auf den Schultern tragen, bis man sie endlich anschnallen konnte. Natürlich hatten wir nur ein Paar Skischuhe, die für alle Jahreszeiten gut waren. Zum Skifahren mussten diese dann in die Skihalterungen eingesetzt werden. Wir trugen Windjacken aus Popelin» – bei dem es sich, wie sie mit erklärt, um ein leichtes, doch gleichzeitig festes Material handelt, das gegen den Wind schützt und nicht schwitzen lässt. Lange Hosen und Wollpullover vervollständigten die Bekleidung. Es wurde einem richtig kalt, doch da es nur selten Sessellifte und Aufstiegsanlagen gab, musste man lange Strecke zu Fuß zurücklegen und durch die Anstrengung wärmte man sich langsam auf. «Man hatte nicht einmal Gamaschen – erläutert uns schließlich die Bergsteigerin aus Bozen – Ich kann mich nicht erinnern, dass irgendjemand welche besaß. Meine ersten Gamaschen machte ich mir aus einem alten Trenchcoat, der mit einer Gummischicht gefüttert war.».

Skischuhe zum Brautkleid und einen Brautstrauß aus Sternen
Das Hochgebirge, das Umfeld, in dem Rita und Mario am 23. September 1954 heirateten: Die Fotos zeigen sie in Skihosen, Pullovern und mit Wollhandschuhen. Glücklich hält sie ein Geschenk in ihren Händen: einen Brautstrauß aus Edelweißblüten, die ihre Freunde eigenhändig gepflügt hatten. Ihr Schleier, wie sie uns verrät, war ein wieder aufbereiteter Schleier einer Kommunionsfeier.
Es waren ohne Zweifel andere Zeiten und dies nicht nur, weil diese Blumen heute unter Naturschutz stehen. Die Entscheidung, ihre Hochzeit im Hochgebirge zu feiern, trafen sie nach einer der eindrucksvollsten Wanderungen, nach einem sommerlichen Zeltausflug auf dem Ortlergebirge: zwei Wochen Zeltlager am Fuß der Suldenspitze. Damals war alles anders. Sogar die Zelte. «Jeder trug seine eigene Plane, - erinnert sich Rita – und man musste immer zwei zusammenknöpfen, doch die Knöpfe der einen stimmten nie mit den Knopflöchern der andren überein. Und so sammelte Mario Kiefernzweige, die ausgesprochen biegsam sind, und benutzte sie, um die zwei Planen zu verbinden. Die Zelte hatten jedoch keinen Boden und so schliefen wir auf dem Gras. Und als wir auf dem Gipfel des Ortlers ankamen, waren wir wie verzaubert und entschlossen uns auf einer Höhe von 3.000 Metern zu heiraten. Für alle war diese die schönste Hochzeit überhaupt. Der Schnee fiel und es erstreckte sich eine unendlich weiße Schneedecke vor unseren Augen. Man musste 4 Stunden lang zu Fuß laufen, um von Sulden die Kapelle zu erreichen, in der wir geheiratet haben – aus diesem Grund konnten einige Gäste nicht kommen. Es gab ja keine Hubschrauber! Ich hatte einen Nelkenstrauß und unsere Freunde trugen ein Kreuz zur Kapelle. Das Hochzeitsessen hatten wir in der Berghütte Payer, auf einer Höhe von 3.029 Metern veranstaltet. Die Berghütte hatte ausschließlich für unsere Hochzeitsfeier geöffnet, da die Urlaubssaison schon vorbei war (normalerweise schloss die Berghütte Mitte September), doch wir haben uns am 23. das Ja-Wort gegeben und hatten auch mit dem Wetter viel Glück. Sie müssen berücksichtigen, dass es damals keine Aufstiegsanlagen gab, sondern nur Träger. Das heißt, dass alles, was wir für unsere Feier brauchten, selbst das Holz zum Kochen, auf Schultern bergauf geschleppt werden musste».

Ein Berg an Erinnerungen
Die Erinnerungen an die sommerlichen Bergwanderungen führen uns schließlich zu den Vajolet-Türmen im Pustertal, zu Exkursionen und Zeltausflügen, die in Bozen starteten. Mit schweren Fahrrädern und mit Rucksäcken beladen legten wir Duzende von Kilometern auf den Schotterwegen zurück. Rita Baldo überquerte den Santnerpass und stieg bis zur Berghütte Carlo Alberto empor, schlief auf dem Boden und erklomm ohne Klettergurte und nur mit schweren Hanfseilen ausgestattet die Felswände. Zusammen mit ihrem Mann und ihren Freunden eroberte sie den Monte Pelmo, wanderte entlang des Misurina Sees, überquerte den Campolongo-Pass und bestieg von Alba di Canazei aus die Marmolata auf Pisten, die von Bergsteigern mit den Füßen und ohne Walzen und Pistenraupen gespurt wurden.
Wir blättern die letzten Seiten des Fotoalbums durch und ihre Stimme lässt die Trauer um ihren Mann und die Bergwelt jener Zeit deutlich spüren. Doch dies dauert nur einen Moment. Rita zeigt mir ihre Mitgliedskarte der Compagnia Tigrotti von Bozen aus dem Jahr 1951, auf der geschrieben steht “Besonderes Kennzeichen: ein ewiges Lächeln”. Die Jahre konnten dieses Lächeln nicht trüben.

Wenn Sie an weiteren Fotos interessiert sind, die Rita und Mario bei ihren Wanderungen und Unternehmungen abbilden, besuchen Sie die Fotoausstellung des Archivs Casanova auf der Seite
http://www.altoadige-suedtirol.it/foto/mostra .php?foto=neve

 
   
 
 
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